Sonntag, 30. August 2015

Straw Dogs – Thoughts on Humans and Other Animals

Das waren 200 wahrlich pessimistische Seiten. John Gray führt im Detail aus, warum sich Platon und das Christentum irren, dass der Mensch etwas anderes als ein hoch entwickeltes Tier sein könnte. So sei das menschliche Bewusstsein, sein bewusstes Denken arg überschätzt: "Consciousness counts for less in the scheme of things than we are taught." Sein Bewusstsein wird dem Menschen nicht mehr Glück und Zufriedenheit bringen und das Denken gibt ihm auch kein Mandat, eine endgültige Wahrheit zu finden. "Humans think they are free, conscious beings, when in truth they are deluded animals." Der Mensch sollte seine Hoffnung nicht darauf legen, dass er durch Wahrheit und Fortschritt auch Glück und Zufriedenheit finden wird. Im Gegenteil, je weiter wir uns von unseren tierischen Grundlagen entfernen, desto weniger Mensch werden wir sein. Eine allgemeine Moral ist nur eine Illusion, die in jeder Stresssituation sofort zusammenbricht.

Nach Grey ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Menschheit ihre natürlichen Lebensgrundlagen ausgebeutet haben. Die Zahl der Menschen wird sich schnell wieder verkleinern, ob nun durch Krieg, Naturkatastrophen, Krankheiten oder Hungersnot ist dabei zweitrangig. Es gibt kaum Hoffnung darauf, dass der Mensch die Technologie zur Schaffung eines Paradieses nutzen wird. Das ist nicht in seiner Natur. Der Mensch arbeitet für seinen kurzfristigen Nutzen und nicht für ein langfristiges Ziel. Die Wissenschaft und Technik werden das nicht ändern.
"Science never will used chiefly to pursue truth, or to improve human life. The uses of knowledge will always be as shifting or crooked as humans are themselves", schreibt er.

Technologie kann nach Grey aber sehr wohl dazu führen, dass von Menschen erdachte maschinelle Intelligenz einmal die dominierende Lebensart werden könnte. Das ist vielleicht nicht das schlimmste für den Planeten und an sich nicht zu verurteilen. Schon jetzt sind wir in den Industrieländern in einem Prozess, durch den viele Menschen in der Volkswirtschaft überflüssig werden. Und viele Menschen finden nur noch in einer Industrie der Unterhaltung, der Drogen und des Sex eine Beschäftigung. Das bürgerliche Leben einer Mehrheit ist mit dem Überfluss eines postmodernen, supereffizienten Kapitalismus zu Ende. "In Europe and Japan, bourgeois life lingers on. In Britain and America it has become the stuff of theme parks. The middle class is a luxury capitalism can no longer afford." Straw Dogs: Thoughts on Humans and Other Animals

Sonntag, 24. Mai 2015

Baby, never let me go

Zum ersten Mal habe ich es nun geschafft und ein Buch von Kazuo Ishiguro gelesen. Mit "Never let me go" (deutsch: "Alles, was wir geben mussten") hat der englische Autor mit japanischen Eltern scheinbar eine Dystopie geliefert. Doch den Roman als Science Fiction aufzufassen, greift natürlich zu kurz. Eigentlich hat man das Gefühl, einen fein erzählten, tiefgründigen Jugendroman zu lesen. Wenn da nicht die Anspielungen auf die Zukunft der Jugendlichen immer wieder Unsicherheit und Spannung erzeugen würden.

Das Buch würde ich als grosse Parabel über das menschliche Leben verstehen. Grosse Fragen werden in dem Roman auf ganz natürliche Weise aufgeworfen. Warum brauchen wir Erziehung, Kunst und Zivilisation, wenn man durch die Geburt sowieso zum Tod verdammt ist? Was sollen und können wir vom Leben erwarten, was gilt als Lebensglück? Und am Rande: wie kann gesellschaftlicher Fortschritt gegen das Glück des Einzelnen aufgewogen werden?

Wer dagegen eine Diskussion um Organspenden und Klone in der Gesellschaft der Zukunft erwartet, der wird enttäuscht. Denn dazu müssten erst einmal die grossen Fragen beantwortet werden.

Eine Anspielung auf Kritik am technologischen Zeitalter gibt es dann doch noch. Denn der Titel "Never let me go" stammt aus der Szene, in der die Hauptfigur zu einem gleichnamigen Song tanzt. Sie selbst sieht sich als Mutter, die ihr Baby nicht aufgeben will. Eine Beobachterin interpretiert es anders: Ein Kind der neuen, von Technik dominierten Ära, das einer menschlicheren Vergangenheit hinterher trauert. Der Autor erzählt sein Thema über das ganze Buch hinweg sehr subtil, da kommt diese direkte Diskussion des Zivilisationsthemas doch sehr unvermittelt. Und das hätte es eigentlich nicht gebraucht.

Never let me go

Samstag, 16. August 2014

Die Dinge

Georges Perec, französischer Schriftsteller (1936-1982), experimentierte gerne mit der Sprache. Und herausgekommen sind nicht nur sprachlich interessante Resultate, sondern auch verschlingende Schwarze Löcher.

Eines dieser Löcher ist «Les Choses» (Die Dinge). Als «eine Geschichte aus den Sechziger Jahren» unterverkauft, ist es das feine Portrait einer Generation. Kurz: Ein junges Paar dürstet nach Geld. Es hasst aber die Idee einer Karriere. Die zwei leben so dem Materiellen verhaftet, so versessen auf Konsum und Luxus, dass es bald einen extremen Schritt geht: Das Paar wandert (fast) in die Wüste aus. Zumindest in ein Kaff (Sfax) in Tunesien.

Die Szenen, die Perec beschwört, sind atemberaubend, dank der detaillierten Beschreibung aller möglichen Gegenstände und auch Ideen. Die Geschichte lädt ein, darüber nachzudenken, was uns die Dinge bedeuten, die uns umgeben. Und wie (ob?) wir uns von ihnen emanzipieren können.

Sfax: Die tunesische Stadt sieht eigentlich nicht schlecht aus, bringt dem Pärchen aus Paris aber auch kein Glück. Lizenz: Creative Commons Attribution 2.0, Fotograf: upyernoz


Ein kurzer Ausschnitt, in dem Bild auf Bild heraufbeschworen wird, bis es dem Leser schwindlig wird – und das Paar noch Träume hat:
Sie sagten sich manchmal, dass ihr künftiges Leben den Charme, die Leichtigkeit, die Phantasie amerikanischer Komödien, von Filmszenen eines Saul Bass haben würde; und herrliche, leuchtende Bilder von makellosen, nur von Skispuren gestreiften Schneefeldern, von Meeresblau, von Sonne, von grünen Hügeln, von knisterndem Feuer in einem Backsteinkamin, von kühnen Straßen, von Pullmanwagen, von Hotelpalästen zogen wie Verheißungen an ihnen vorüber.
Die Dinge: Roman

Der Ego-Tunnel – über unser Bewusstsein

Es ist nicht nur lesenswert, was der Philosoph Thomas Metzinger über die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung in seinem Buch «Der Ego-Tunnel» beschreibt. Es ist aufwühlend für unser Selbstbild. Das Bewusstsein ist demnach ein Trick der Evolution, die Sinnes-Eindrücke und die Rechenergebnisse unseres Gehirns darzustellen. Das was wir «Ich» oder «Selbst» nennen ist demnach nur eine ausgeklügelte Benutzeroberfläche, um die kognitiven Funktionen zu steuern.

Da unser Körperbild auch nur eine Darstellung auf dieser Benutzeroberfläche ist, macht es eigentlich auch keinen grossen Unterschied ob wir in einem realen Körper oder etwa einen virtuellen steuern würden. So fühlen wir mit dem Avater in einem Computerspiel und professionelle Rennfahrer fühlen sich in einem Körper mit dem Wagen, den sie steuern.

Interessant war für mich der Brückenschlag zum Buddhismus und zur Meditation. Im Zen-Buddhismus soll die Meditation zu einer Auflösung des Egos führen – zur Einsicht, dass ein Selbst nicht existiert. Der Geist existiert, der Körper existiert. Aber das Gefühl für das Ich ist nur eine Illusion des Geistes. Die Hirnforschung gibt dieser Weisheitslehre recht.

Das Loslösen vom Selbst verspricht Glück und die Befreiung von Ängsten. "Stirb, während du lebst, und sei vollkommen tot. Dann tue, was immer du willst – alles ist gut."


Der Ego-Tunnel: Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik

Zwei Monde, viel Verwirrung

Als ich 1Q84 von Haruki Murakami vor mir hatte, dachte ich nur: Was für ein Schinken! In der deutschen Version muss man sich – die zwei Bücher zusammengenommen – durch über 1500 Seiten schlagen. Wer hat denn dafür Zeit?

Aber es war ganz und gar nicht anstrengend und so schnell habe ich so viele Seite wohl noch nie gelesen. Die Seiten fließen nur vor sich hin, nirgendwo stockt der Lesefluss, jedes Kapital endet mit einem Cliffhanger und man entwickelt echtes Interesse am Schicksal der zwei Hauptpersonen, Tengo und Aomame.

Doch wie bei jedem Buch von Murakami ist die Geschichte nur eine freie Leinwand, in der der Leser viel selbst projizieren kann. Die Handlung lässt sich eigentlich schnell zusammenfassen und die über 1500 Seiten werden eher mit der genauesten Beschreibung des Alltags gefüllt, anstatt mit einer komplizierten Geschichte.

Andere Romane von Haruki Murakami sind sogar noch minimalistischer und verzichten fast ganz auf einen großen Handlungsstrang. Diesmal ist es nicht ganz so esoterisch und 1Q84 bietet eine gute Mischung aus innerer Entwicklungsgeschichte, Anklänge an Fantasy und einer romantischen Erzählung.

Trotzdem habe ich mich gefragt, warum ich meine Zeit für dieses Buch geopfert habe. Wirklich bewegt oder gar aufgewühlt hat mich die Geschichte nämlich nicht. Die Liebe zwischen Tengo und Aomame ist zwar schön. Und die ständigen Anspielungen auf was noch kommen mag und das Rätselraten um die Paralleluniversen machen die Geschichte spannend zu lesen. Aber es bleibt zu wenig echte Erkenntnis und Anregung für so ein dickes Buch.

Es ist sehr gut gemachte Unterhaltung. Aber Murakami könnte mehr.

1Q84 (Buch 1, 2): Roman
1Q84 (Buch 3): Roman

Sonntag, 27. Mai 2012

The Man in the High Castle

Manchmal sollte man keine Inhaltsbeschreibung studieren, bevor man ein Buch anfängt zu lesen. Der Klappentext für "The Man in the High Castle" von Philip K. Dick aus dem Jahr 1962 (deutsch: "Das Orakel vom Berge") lässt eine Dystopie à la Fatherland von Robert Harris erwarten. Die Nazis und Japaner haben den zweiten Weltkrieg gewonnen, jetzt ist Amerika zwischen den zwei Weltmächten aufgeteilt.

Doch im Gegensatz zu Harris' Thriller wird in Dicks Roman zwar abstrakt philosophiert und kulturelle Gegensätze und Mentalitäten analysiert, aber dadurch wird das Buch sogar spannender und tiefer. Es ist kein politischer Thriller, der "etwas nachdenken lässt", sondern trägt in jedem Kapitel die Fragen vom Schicksal, vom Wesen des Menschen bzw. der Menschheit und auch der Frage der Realität mit sich herum. Gibt es eine Welt, die so falsch ist, dass man in ihr nur noch in Zynismus leben kann?

Und die Realität bleibt fraglich, genau wie die Vorbestimmung des I Ching eine Sache der Interpretation bleibt. Im letzten Absatz heisst es schön: Truth, she thought. Terrible as death. But harder to find. I am lucky.

The Man in the High Castle (S.F. Masterworks)

Sonntag, 11. März 2012

Probleme und Dilemmata

In unserer von der Aufklärung und der Technologie gezeichneten Zeit erwarten wir, dass wir alle Schwierigkeiten unseres Lebens als "Probleme" definieren können. Probleme kann man lösen. Selbst wenn wir keine Lösung kennen, haben wir die technologisch-inspirierte Hoffnung, dass wir eine Lösung in naher oder ferner Zukunft finden werden.
Ein Dilemma dagegen hat keine Lösung. Es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera. Wir haben zwar die Möglichkeit zu wählen, aber keine dieser Möglichkeiten ist eine Lösung. Den modernen Menschen missfällt solch eine Aussicht. Wir sind es gewöhnt, dass sich die Menge unserer Möglichkeiten immer weiter vergrössern und wir Lösungen für alles finden. Ironischerweise scheinen viele Probleme erst durch von Menschen hervorgebrachten "Lösungen" entstanden zu sein.
Die Folgeeffekte von Lösungen waren oft nicht zu überblicken und sorgten für neue Probleme. Die Ölkrise wurde durch grössere Investitionen in die Atomkraft "gelöst". Der Klimawandel ist nicht mehr zu stoppen, nur noch zu erleichtern. Trotzdem behandeln wir ihn als Problem und nicht als Dilemma, das man zu einem grossen Teil nicht lösen kann. Zumindest die naive Technikgläubigkeit, dass wir in einem Paradies aller gelösten Probleme einmal aufwachen können, muss hinterfragt werden. Die zukünftigen Probleme der Gentechnik, die als Lösung für Krankheiten und Ernährungsprobleme propagiert wird, sind jetzt schon erahnbar.
Unsere sozialen Probleme – die Fragmentierung unserer Gesellschaft, die Radikalisierung einzelner Gruppen wie etwa den Islamisten, die grössere Ungleichheit im Materiellen wie in der Bildung, die Überalterung der Bevölkerung – sind hauptsächlich Dilemmata. Wir können sie nicht einfach lösen, ohne negative Auswirkungen anderweitig zu schaffen.
Damit müssen wir uns abfinden. Es ist kein leichtes Leben hier im Irdischen und es ist besser, sich der eigenen Grenzen bewusst zu sein und sich auch Grenzen aufzuerlegen, als mit jeder technisch möglichen Lösung nach vorne zu preschen.
Jedoch benötigen alle Dilemma eine Entscheidung. Nichts zu tun ist auch eine Entscheidung. Eine Situation, in der uns alle Entscheidungsmöglichkeiten nicht gefallen, ist keine Entschuldigung für Tatenlosigkeit. Da so gut wie alle technischen Entscheidungen negative Effekte haben können, ist ein wichtiger Teil unserer heutigen Entscheidungsfindung die Risikoabschätzung. Sie sagt uns, was schlechtes passieren kann und mit welcher Wahrscheinlichkeit. Vielleicht ist es nur eine Illusion, dass wir das tatsächliche Risiko einer Entscheidung finden können. Aber es ist eine nützliche Illusion. Denn ohne solch eine Illusion machen wir uns selbst unmündig: Wir wollen nicht einmal wissen, was wir erfahren könnten.

Montag, 13. Februar 2012

Irrtümer und Fehler, schnell und langsam

Ein Irrtum ist nur ein Fehler, wenn man ihn nicht korrigiert. Wir irren uns ständig, wir begehen auch ständig Fehler. Doch Irrtümer kann man korrigieren. Man kann sie ausschalten. Bis man zu einer rationalen Lösung gekommen ist.

Das lässt mich auf das Konzept des "schnellen" und "langsamen" Denken" von Nobelpreisträger Daniel Kahnemann kommen. Wenn wir spontan, schnell auf etwas reagieren, mag das richtig sein. Aber erst durch unser sorgfältiges Denken kommen wir näher an eine rationale Lösung. Unser spontanes Denken mag uns motivieren und Ideen geben, aber erst durch die nachträgliche Überprüfung können wir sicher sein, das bestmögliche getan zu haben.

Als ich über dieses Bild aus dem griechischen Parlament gestolpert bin, dachte ich mir – wieso geben wir der lauten, polemischen Debatte soviel Gewicht. Wieso lassen wir die Lautesten oben stehen und die Leisen müssen folgen? Natürlich ist es unterhaltender, wenn wir aus der Emotion heraus eine Debatte erfahren. Wenn wir unsere Leidenschaft für etwas ausleben können. Ohne diese Leidenschaft bleiben alle Debatten leer. Trotzdem: Die Leidenschaft muss intellektuellen Massstäben genügen.

Unser Verstand muss der Massgeber für die Diskussion sein. Die Leidenschaft, die Emotion brauchen wir dennoch. Um die Realisierung eines Gedankens tiefer gehen zu lassen, als nur im oberflächlichen Verstehen stecken zu bleiben.

Erst wenn wir einen Gedanken so tief gespürt haben, dass uns das Verstehen mit aller Gewalt durchschüttelt hat, können wir ihn auch immer wieder abrufen und wissen um seine Bedeutung.

Doch zuerst müssen wir die richtigen Gedanken haben. Schaffen wir laute politische Diskussionen ab. Machen wir die politische Debatte zu einer schriftlichen. Oder doch nicht?

Thinking, Fast and Slow

Sonntag, 29. Januar 2012

Die Verachtung des Genusses?

Im "Spiegel" stand vor kurzem ein Bericht über die Schädlichkeit oder Nutzlosigkeit von Vitaminen – und wie die Nationalsozialisten diese Stoffe als Allheilmittel propagierten. Das erinnerte mich an Aussagen des Lebensmittelchemikers Udo Pollmer, der auch schon die Rohkost bzw. Vollwertkost mit den Ideen des Dritten Reiches verbunden hatte. Es scheint die eine Verachtung des Genusses, ein Hang zum Glauben an die Askese als Grund für diese immer wiederkehrenden Popularität von ungeniessbarem oder schmerzvollem Essen oder Verhalten (z.B. übertriebene Fitnessprogramme).
Theoretisch versuchte die Verachtung des Genusses Robert Pfaller in seinem Buch "Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft" zu beleuchten. Wir werden Untertanen unseres eigenen Drang zum Überoptimieren. Unsere Gesellschaft verliert die Beziehung zu Ritualen und zum Feiern, zum Sich-gehen-lassen. Ein langes Leben und Gesundheit scheint über allem zu stehen – doch was soll dieses gesunde, lange Leben wenn darin nichts mehr genossen wird? Zum Titel "Das schmutzige Heilige" kommt es, dass alles was Licht und Gut ist, auch eine negative Seite benötigt. Um das Leben zu geniessen, muss das Schmutzige zugelassen werden, die Lust und das Ungesunde – zeitweise – erlaubt sein.
Dies umfasst das Essen, das Rauchen, den Sex. "Wir überlassen den Sex der Unterschicht", erkennt Pfaller. Wer alles optimieren will, in Askese und in Neutralem aufgehen will, an dem geht auch das Leben vorbei. Wenn Politiker den Gesundheitsaposteln folgen und das Rauchen weiter einschränken, das Fett besteuern und Angst vor dem Sex erzeugen, dann wird die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt. Jeder hat die Freiheit sich selbst zu gefährden – um das eigene Leben auch auskosten zu können.

Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft: Symptome der Gegenwartskultur

Lexikon der populären Ernährungsirrtümer: Mißverständnisse, Fehlinterpretationen und Halbwahrheiten von Alkohol bis Zucker

Sonntag, 22. Januar 2012

Der Reiz der Anarchie

Die Ausführungen von Mark Lilla über die Tea Party (Revolutionäre Republikaner) veranlassten mich darüber nachzudenken, worin denn der grosse Reiz der Anarchie und des Anarchismus besteht – auf der linken wie auf der rechten Seite des politischen Spektrums.

So versucht Robert Nozick in seinem Standardwerk Anarchy, State, and Utopia den Minimalstaat zu erdenken und zu rechtfertigen. Wie kann man in einer Gesellschaft leben, ohne dass der Staat umverteilt und die Gesellschaft lenken will? Für Europäer hören sich solche Gedanken wie Traumreisen in eine ferne Galaxie an. Politik und staatliche Institutionen sind so eng verwoben mit unserem täglichen Leben, dass wohl niemand sich ein Leben in unserer komplexen Gesellschaft ohne sie vorstellen kann.

Doch die Argumente für ein staatliches Eingreifen sind auf schwachem Grund gebaut. Falls der persönliche Besitz absolut wie das eigene Leben geschützt wären, wäre jede Form von Enteignung als illegitime Gewalt dem Staat unmöglich. Wie würde dann ein Staat aussehen – könnte eine Gesellschaft nur auf Freiwilligkeit basieren?

Nur Freiwilligkeit würde wohl nicht ausreichen, aber Nozick versucht dieser Idee möglichst nahe zu kommen. Und dieser Gedanke treibt eben auch die Tea Party-Anarchisten umher. Sie sind gerade auf der genannten Traumreise Richtung einer ohne staatlichen Zwang lebenden Gesellschaft. Sozusagen die Hippies der rechten Szene.

Die Faszination ist im Mainstream Europas noch nicht angekommen. Zwar bekennen wir uns vollmundig zur Freiheit, aber wir fühlen uns doch wohler, wenn sich die "Empfindung aller recht und billig Denkenden" auch in den Gesetzen widerspiegelt.

Ist es ein Zeichen grosser Abneigung gegen die herrschende Ordnung oder nur eine noch grössere Naivität, wenn man die Gesellschaft mit den wenigsten Regeln als Utopie ausruft?


Anarchy, State, and Utopia

Samstag, 21. Januar 2012

Revolutionäre Republikaner?

Schaue ich mir den laufenden Präsidentschaftsvorwahlkampf der Republikaner an, scheint mir die politische Welt der USA immer weiter entfernt zu sein. Obama hätte in Europa mit einer riesigen Mehrheit gewonnen, während er in den Vereinigten Staaten auf eine radikale Opposition stösst – und er bleibt in Europa weiter beliebter. Seine Gegner, die republikanische Seite, scheint zu einem grossen Teil in einer anderen Welt zu leben, einer Gedankenwelt die vom politischen Mainstream Europas aus gesehen auch vom Mars stammen könnte.

Andere argumentierten schon, dass dies für die weltpolitische Lage gefährlich werden könnte. Wie soll der Westen sich für sein Erbe der Menschenrechte und der Demokratie einsetzen, wenn er sich nicht mehr untereinander verständigen kann? Und wie soll man zusammen weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrisen begegnen? Gefährlicher wird dies durch den sich anscheinend weiter radikalisierenden konservativen Rand der amerikanischen Gesellschaft. Selbst die Republikaner untereinander scheinen sich im Präsidentschaftsvorwahlkampf 2012 nicht mehr zu verstehen.

Mark Lilla, Professor an der Columbia-Universität in New York, hat einige Artikel in der New York Review of Books veröffentlicht, in denen er die Ideengeschichte der heutigen Republikaner und einer einflussreicher werdenden Strömung in ihr – der Tea Party – diskutiert.

In Republicans for Revolution rezensiert Lilla einen Erklärungsversuch für die heute in den USA herrschenden konservativen Strömungen und ihrer Geschichte: The Reactionary Mind. Lilla ist wichtig dem Autor Corey Robin entgegenzuhalten, dass die immer stärker werdende libertäre Tea Party-Bewegung keine Konservativen sind, die das Erbe der guten alten Zeit bewahren wollen. Sie sind Reaktionäre, die verstanden haben, dass es kein zurück zu dieser guten alten Zeit gibt – aber die Verabscheuung der heutigen Gesellschaft und Politik und die Verehrung dieser guten alten Zeit bleibt. Die heutige Ordnung wird also bekämpft mit dem Wissen, dass etwas Gutes der alten Zeit bestehen bleiben wird. Sie sind revolutionär um das Alte zurückzubekommen. So schreibt er über das Wesen der Reaktion:
They believe that the only sane response to an apocalypse is to provoke another, in hopes of starting over. Ever since the French Revolution reactionaries have seen themselves working toward counterrevolutions that would destroy the present state of affairs and transport the nation, or the faith, or the entire human race to some new Golden Age that would redeem aspects of the past without returning there.
Der jetzige Politikbetrieb muss also zerstört werden, um in die gute alte Zeit zurückzukommen. Diese revolutionäre Sicht hängt mit der vorherrschenden Sichtweise der Tea Pary zusammen. Lässt man die jetzigen Zustände bestehen, kommt es zum Untergang:
The real news on the American right is the mainstreaming of political apocalypticism. This has been brewing among intellectuals since the Nineties, but in the past four years, thanks to the right-wing media establishment and economic collapse, it has reached a wider public and transformed the Republican Party. How that happened would be a long story to tell, and central to it would be the remarkable transmutation of neoconservatism from intellectual movement to rabble-rousing Republican court ideology.
Die republikanischen Intellektuellen haben diese Weltsicht schon länger gepflegt, nun ist sie auch im Mainstream angekommen. Die Revolution der liberalen, herrschende Klasse braucht ein Zugpferd im Amt des Präsidentschaftskandidaten. Egal wie unqualifiziert dieser ist:
Apocalypticism trickled down, not up, and is now what binds Republican Party elites to their hard-core base. They all agree that the country must be “taken back” from the usurpers by any means necessary, and are willing to support any candidate, no matter how unworldly or unqualified or fanatical, who shares their picture of the crisis of our time.
Was in der republikanischen Partei abläuft, ist kein Konservatismus, sondern eine Revolution, die nur weiss zu zerstören – aber nicht weiss, was man aufbauen will:
All this is new—and it has little to do with the principles of conservatism, or with the aristocratic prejudice that “some are fit, and thus ought, to rule others,” which Corey Robin sees at the root of everything on the right. No, there is something darker and dystopic at work here. People who know what kind of new world they want to create through revolution are trouble enough; those who only know what they want to destroy are a curse.

Einem der prominentesten Vertreter der Tea Party – Glenn Beck – widmet sich Lilla im Artikel "The Beck of Revelation". Beck ist Autor, TV- und Radio-Moderator und eine aggressive Gallionsfigur der libertär-religiösen Strömung. Seine polemische Rhetorik ist unnachgiebig und ohne Verständnis für den politischen Gegner. Doch Lilla sieht ihn eher als ein Sprachrohr, als den typischen Demagogen:
I’m coming to the conclusion that searching for the “real” Glenn Beck makes no sense. The truth is, demagogues don’t have cores. They are mediums, channeling currents of public passion and opinion that they anticipate, amplify, and guide, but do not create; the less resistance they offer, the more successful they are.
Er ist der Moses der Tea Party-Bewegung – "moved into the prophet business" –, für die er nun sein politisches Programm in öffentlichen Auftritten entradikalisiert. Er schimpft dann weniger auf den Regierungssozialismus, sondern mahnt die Amerikaner an, sich der Freiheit zuzuwenden. Dabei sollen sie Gott als Zentrum ihres Lebens akzeptieren. Lilla verweist hier auf eine Beobachtung von Alexis de Tocqueville: Totale Freiheit ist zu angsteinflössend – um sie auszuhalten, muss man sich einer höheren Macht zuwenden.

Die Tea Party-Bewegung sieht Lilla in "The Tea Party Jacobins" als eine im politischen Diskurs sich schon lange anbahnende Strömung, keine plötzliche Entwicklung. Zwar habe die Finanzkrise die Tea Party nun noch verstärkt und zu mehr Popularität verholfen, aber "the populist mood has been brewing for decades".


Er bezweifelt, dass die Gesellschaft antiliberaler wird, die aus den 60er Jahren stammenden Überzeugungen – Akzeptanz von Alleinerziehenden, weniger religiösen Einfluss auf die Gesellschaft und Schwulen- und Lesbenrechte – werden nicht über Bord geworfen Genauso sei der Glaube an die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Einzelnen weiter stark. 

Dass die Republikaner in Umfragen immer radikaler wirken sei nur auf eine Sache zurückzuführen: es gibt immer weniger davon. Die schrumpfenden Demokraten wurden parallel etwas linker, aber die wachsenden Unabhängigen in der Mitte hätten ihre Meinung kaum geändert.

Das Problem sei nicht der politische Einfluss der linken und rechten Radikalen. Sondern der Aufstieg der "nichtpolitischen Jakobiner". Ein grösser werdender Teil der Bevölkerung vertraut keiner Regierung und keinen Politikern. Wie in anderen entwickelten Demokratien wurde es einfach schwieriger für ein repräsentatives System, die eigenständiger werdenden Wähler zu vertreten.


Der eigentliche Auslöser der Tea Party war dann auch die Finanzkrise als Erinnerung daran, dass der Staat und die Politik – "collective response" – doch gebraucht werden. Doch der Eingriff des Staates brachte in der autonomisierten US-Gesellschaft einen eigenen Gegeneffekt zum Vorschein. Der rechte Rand sah den eigentlich gesellschaftlich akzeptierten politischen Eingriff als ein Zeichen der ausufernden Macht von Eliten, denen nun schon seit Jahrzehnten misstraut wird.


Die Republikaner wollten von dieser Bewegung profitieren. Die Präsidentschaftskandidaten nutzen die Tea Party-Anhänger für Ihre Zwecke: "Establishment Republicans will make fools of themselves trying to master a populist rhetoric they don’t know and don’t believe in". Doch dadurch gewinnen die Extremisten auch mehr Macht: "the colonized eventually colonize the colonizer". Milla sieht noch weniger Kompromissbereitschaft und Verständlichkeit auf der politischen Bühne kommen und US-Amerikaner werden weiter Respekt und Vertrauen in ihre Regierung verlieren.
They want to be people without rules—and, who knows, they may succeed. This is America, where wishes come true. And where no one remembers the adage “Beware what you wish for."

Samstag, 7. Januar 2012

Brauchen wir Schule?

Wie sollen wir in unserer Gesellschaft lernen? Ist es tatsächlich das beste System, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene jeden Tag mehrere Stunden in staatlich sanktionierten Einrichtungen - meist nur mit geringsten Wahlmöglichkeiten - durch Zwang staatlich vorgegebenes Material eintrichtern zu lassen?

Eines der für mich eindrücklichsten Bücher zum Thema Bildung ist "Deschooling Society" von Ivan Illich. Eine einfache Beobachtung stellt Illich an den Anfang seiner Überlegungen, was Schule eigentlich darstellt:
We have all learned most of what we know outside school. Pupils do most of their learning without, and often despite, their teachers. (...) Everyone learns how to live outside school. We learn to speak, to think, to love, to feel, to curse, to politick, and to work without interference from a teacher.
Die Schule wurde nie als idealer, effizientester Ort zur Wissensweitergabe gegründet. Immer waren es verschiedenste Motivationen, Kinder in die Schule, wie wir sie heute kennen, zu schicken. Schule ist auch ein Aufbewahrungsort für die Kinder und ein Ort, in dem man diszipliniert wird und lernt sich an die gegebene Ordnung des Staates und der Gesellschaft zu halten. In dem Kinder lernen was und wie man zu denken hat. Deswegen nennt Illich auch was in der Schule gemacht wird nicht "lehren" oder "bilden", sondern "schooling". Und er plädiert für ein "deschooling" - nicht nur der Schule, sondern unserer gesamten Gesellschaft.
The pupil is thereby “schooled” to confuse teaching with learning, grade advancement with education, a diploma with competence, and fluency with the ability to say something new. His imagination is “schooled” to accept service in place of value.
Illich erklärt, dass - wie andere Institutionen in unserer Gesellschaft - auch Schule sich immer weiter ausdehnt und Konkurrenz ausschliesst. Andere Formen der Bildung, des Lernens werden versucht zu verdrängen. Bildung, die nicht mit Zertifikaten, Diplomen und Zeugnissen endet, wird diskreditiert und bekämpft. Und auch nicht die Personen mit dem grössten Erfahrungsschatz und Wissen unterrichten Kinder, sondern Lehrer, die die Schule für sich monopolisiert haben.

Warum entscheidet der Staat, was unterrichtet wird? Warum sollen Schulpolitiker und Bildungswissenschaftler am besten wissen, was Kinder für ihre Zukunft brauchen? Und wenn sie es wissen - warum wird es per Zwang verordnet? Warum gibt es keinen offenen Wettbewerb, keine freie Wahlmöglichkeiten, wie und was man lernen will?

Das Schulsystem wird unaufhaltsam zusammenbrechen, prophezeit Illich. Aber er sieht zwei Szenarien, was danach kommen kann: Entweder umschliesst die "progammierte Erziehung" die gesamte Gesellschaft oder die Befreiung der Bildung mit freiem und gleichen Zugang für alle.

Das Internet lässt die Vision Illich eines freien Lernens näher rücken. Ohne Grenzen kann jeder sich das Wissen und die Kontakte suchen, die ihm wichtig sind und die er benötigt. Die Wissbegierde wird dann zum Antreiber der Bildung, nicht der Zwang.


Deschooling Society

Mittwoch, 28. Dezember 2011

Die Mathematik der Evolution

Wie funktioniert eigentlich die Evolution, die Entwicklung aller Lebewesen auf der Erde. Richard Dawkins zeigte in "The Selfish Gene" von 1972 wie die Evolutionsbiologen das Verhalten aller Lebewesen - und damit auch unseres - aufgrund des Selektionsdrucks erklären können. Durch schon ästhetisch anmutende Logik und Mathematik erklärt er, wie unsere Körper Behältnisse der Gene sind und wie wir das Überleben unseres Genpools schützen.

Die Logik: Wir helfen unseren Verwandten und Artverwandten, auch wenn es für uns keine Vorteile bringt; denn für die Evolution ist nicht wichtig, dass wir überleben - sondern dass unsere Gene weitergegeben werden können. Je höher der Verwandtschaftsgrad, desto höher unsere genetische Übereinstimmung und desto höher unsere Aufopferungsbereitschaft. Und: Alte opfern sich für Junge auf, denn die pflanzen sich noch weiter fort und damit hat der Genpool eine höhere Überlebenschance. Für den Menschen gilt dies nur eingeschränkt, da für unser Überleben weniger die Instinkte massgebend sind, sondern unser Denken. Daher haben wir als einzige Lebewesen auf der Erde die Chance, dass wir tatsächlichen Altruismus auf einer allgemeinen Moral begründen werden. Wir müssen uns nur an diese Moral halten.

Selfish Gene

Montag, 26. Dezember 2011

Interessante Bücherlisten

Hier noch ein paar Tipps für einige lesenswerte Bücher.

1. Diese Liste enthält einige grossartige japanische Werke:
Japanische Literatur

2. Und wer sich für den Zeitgeist und dessen Wandel interessiert, wird bei diesen spannenden und unterhaltsamen Büchern fündig:
Betrachtungen über den Zeitgeist

Das Thailand der Zukunft?

Bangkok ist eine nur durch Dämme und Pumpen gesicherte künstliche Insel, Thailand wehrt sich gegen Angriffe der Gen-Industrie und die Hochhäuser in der Silom- und Sukhumvit-Strasse sind mangels Elektritizität nur noch Elendsviertel: "The Windup Girl" (deutsch: "Biokrieg") von Paolo Bacigalupi malt ein düsteres Zukunftsbild.
Die Überschwemmungen im Herbst 2011 liessen das Szenario einer "Insel Bangkok" erschreckend nah erscheinen: Bangkok leidet unter heftigen Fluten; die Regierung tut überrascht ob der topologischen Erkenntnis, dass Bangkok und Umgebung nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen. Doch es braucht viel Phanatasie, sich auszumalen, was eine völlige Umschliessung Bangkoks von Wasser heissen würde.
Bacigalupi bringt diese Phantasie auf. In lebendigen Farben beschreibt er eine Dystopie, in der die heute schon sichtbaren Trends des Klimawandels, der Gentechnik und des knapp werdenden Öls die Welt völlig verändern werden. Wir erfahren im Hintergrund der Geschichte, was eine gentechnisch dominierte Natur bedeutet: künstlich veränderte Menschen in Japan als Arbeiter und Geishas gehalten, monopolistische GenTech-Multinationals kämpfen um die Macht über die Nahrung, viele sind durch zufällig aus Genmanipulationen erstandene Seuchen gezeichnet oder gestorben.
Thailand ist in der Geschichte mehr als nur Lokalkolorit. "The Windup Girl" schreibt die heutige thailändische Gesellschaftsstruktur in die Zukunft weiter. Paternalismus, Verehrung des Königshauses und Nationalstolz sind bestimmend für den Roman.
Vielleicht ist nicht alles logisch und bis zum Ende durchdacht, aber die lebendige Schilderung des Lebens nach der "Expansionsphase" - so wird unsere heutige Lebensart genannt - und die spannende Geschichte machen dieses Buch zu einem der besseren Science-Fiction-Geschichten.

The Windup Girl

Dienstag, 1. Mai 2007

1491: Amerika vor Kolumbus

Charles Mann gibt einen Einblick in einen unbekannten, untergegangener Kontinent voll faszinierender Kulturen und Völker. Wie war Amerika - der Norden und der Süden - vor dem Einmarsch der Europäer?

Der Leser werden die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Indianer dargestellt. Über neue Theorien woher denn die Indianer kamen, wenn sie nicht über die Beringstrasse eintrafen. Über nordamerikanische Stämme in Neuengland, die viel zivilisierter und stärker waren als die schmutzigen Siedler. Über die Inka-Zivilisation und ihre einzigartige Weise, ein Reich aufzubauen. Über die Kriege und Leistungen der mittelamerikanischen Hochkulturen, deren Grösse heute nur noch durch riesige Pyramiden zu erahnen sind. Über den geheimen Waffenbruder der europäischen Invasoren - die Pocken.

1491 (Second Edition): New Revelations of the Americas Before Columbus (Vintage)

Sonntag, 11. März 2007

Der König, der nie lächelt

Bhumipol, König von Thailand, ist der am längsten herrschende Monarch der Welt. Die Biographie "The King Never Smiles" erzählt die spannende Geschichte seines Lebens und die Auswirkungen auf das Schicksal seines Landes.

Aufgewachsen in Lausanne, Schweiz, kommt er erst mit 18 in Kontakt mit seinem Heimatland. Nach dem unerklärten Tod seine Bruders wird er überraschend König. Er lernt schnell sich in der Machtpolitik als - nach außen - repräsentativer Monarch durchzusetzen.

Im Gegensatz zum offiziellen Bild des Königs, ist er keineswegs der demokratiefördernde, moderne Monarch. Das zeigt das Buch sehr überzeugend. Er misstraut gewählten Politikern, eigentlich der Entscheidungsfähigkeit seines Volkes. Lieber vertraut er loyalen Militärs, die er immer wieder putschen lässt und denen er sich auch für die eigene Agenda bedient.

Sein Volk liebt ihn, doch diese Liebe wird durch eine grosse Propaganda-Maschine und autoritäre Ideologie ("Nation - Religion - König") am Leben gehalten.

The King Never Smiles: A Biography of Thailand's Bhumibol Adulyadej

Freitag, 8. Dezember 2006

Der schreckliche Vorsitzende

Wie war der 'grosse Vorsitzende' Mao Tse-Tung wirklich? Wie hat er gedacht? Was war sein Lebensweg? "Mao - The Unknown Story" ist ein unglaublich gefülltes Buch, in dem alle Mythen über Mao aufgedeckt werden. Mao wird als egoistischer, paranoider Massenmörder gezeichnet. Aber das Buch ist nicht anklagend, sondern nur beschreibend. Durch sein Detailreichtum ist die Biographie überzeugend und weckt das Interesse, mehr über die neuere Geschichte Chinas und des Kommunismus zu erfahren. Aus einem historischen Blickwinkel ist eines der interessantesten Tatsachen, das der Lange Marsch und auch die politische Karriere Maos ohne die extreme Unterstützung durch Stalin niemals so erfolgreich hätte sein können.

Mao: The Unknown Story

Sonntag, 27. August 2006

Künstliche Intelligenz - umfassend und einfach dargestellt

Was haben "genetische Alogrithmen" mit Genetik zu tun? Ist die "Fuzzy Logic" wirklich unscharf? Können Maschinen mit "neuronalen Netzen" tatsächlich denken? Die Antworten sind nur ein (dickes) Buch entfernt...

"Artificial Intelligence - A Modern Approach" ist das ideale Lehrbuch. Es ist umfassend, klar geschrieben und sehr verständlich. Man muss sich nicht durchquälen, sondern liest gerne die gutgeschriebenen Kapitel über die unterschiedlichen Aspekte der Künstlichen Intelligenz durch.

Artificial Intelligence: A Modern Approach (Second Edition)

Wieso gibt es arme Länder?

Patrick J. O'Rourke versucht auf unterhaltsame Weise dem Wohlstand der Nationen nachzugehen. Nicht durch das Analysieren offizieller Statistiken, die in Ländern wie Tansania kaum aussagekräftig sind, sondern durch eine Weltreise. Er vergleicht aus eigener Anschauung wie sich die Wirtschaftsbedingungen unter anderem in Hong Kong, Vietnam und Schweden unterscheiden und wie dies den Wohlstand und die Freiheit der Menschen beeinflusst. Zwischen den ernsten Schlussfolgerungen sind die Texte unglaublich satirisch geschrieben.

Eat the Rich

Wissenschaftliche Revolutionen...

Thomas Kuhns Buch gründete eine ganz neue Disziplin - die der Wissenschaftssoziologie. Der Physiker analysierte, dass es keinen kontinuierlichen Fortschrittsprozess in der Wissenschaft gibt, sondern sich herrschende Ideen revolutionär (nicht evolutionär) durchsetzten. Gerade junge Wissenschaftler sind die Antreiber der "Paradigmenwechsel".

Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (suhrkamp taschenbuch wissenschaft)

Todesfabriken

Deutschland hatte seinen Dr. Mengele, der in den Konzentrationslagern Menschenversuche durchführte. Die japanische Armee hatte während des 2. Weltkriegs aber riesige Versuchszentren in der Mandschurei, im Norden Chinas, aufgebaut, wo an Menschen die Wirksamkeit von biologischen Waffen getestet wurde. Die Verantwortlichen wurden grösstenteils nie zur Rechenschaft gezogen - die US-Amerikaner profitierten lieber von den skrupellos gewonnenen Erkenntnissen.

Factories of Death: Japanese Biological Warfare, 1932-1945, and the American Cover-Up: Japanese Biological Warfare 1932-45 and the American Cover-up

Das Abenteuer meines Lebens

Arthur Koestler beschreibt in seinem Buch "Als Zeuge der Zeit: Das Abenteuer meines Lebens" sein höchst interessantes Leben, wobei er sich in verschiedensten Rollen und Schauplätzen des 20. Jahrhunderts wiederfindet.
Koestler war in seinem Leben überzeugter Anhänger der Naturwissenschaften, Journalist, Zionist, Kommunist und nach dem Bruch mit Stalin Anti-Kommunist. Er beschreibt eindrücklich, wie ihn störte, dass nach dem physikalischen Weltbild unser Leben vorbestimmt sein sollte. Er beschliesst: Sein Leben soll nicht vorbestimmt sein - er will beweisen, dass er seinen Weg frei wählen kann.
Er zerstört seine Universitätszeugnisse kurz vor seinem Abschluss als Ingenieur, reist nach Palästina ohne Plan - ein erfülltes Leben voller Gefahren und Unwägbarkeiten erwartet ihn.
Ein Vorbild für die geknechteten Büroarbeiter unserer Zeit?
Als Zeuge der Zeit