Samstag, 21. Januar 2012

Revolutionäre Republikaner?

Schaue ich mir den laufenden Präsidentschaftsvorwahlkampf der Republikaner an, scheint mir die politische Welt der USA immer weiter entfernt zu sein. Obama hätte in Europa mit einer riesigen Mehrheit gewonnen, während er in den Vereinigten Staaten auf eine radikale Opposition stösst – und er bleibt in Europa weiter beliebter. Seine Gegner, die republikanische Seite, scheint zu einem grossen Teil in einer anderen Welt zu leben, einer Gedankenwelt die vom politischen Mainstream Europas aus gesehen auch vom Mars stammen könnte.

Andere argumentierten schon, dass dies für die weltpolitische Lage gefährlich werden könnte. Wie soll der Westen sich für sein Erbe der Menschenrechte und der Demokratie einsetzen, wenn er sich nicht mehr untereinander verständigen kann? Und wie soll man zusammen weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrisen begegnen? Gefährlicher wird dies durch den sich anscheinend weiter radikalisierenden konservativen Rand der amerikanischen Gesellschaft. Selbst die Republikaner untereinander scheinen sich im Präsidentschaftsvorwahlkampf 2012 nicht mehr zu verstehen.

Mark Lilla, Professor an der Columbia-Universität in New York, hat einige Artikel in der New York Review of Books veröffentlicht, in denen er die Ideengeschichte der heutigen Republikaner und einer einflussreicher werdenden Strömung in ihr – der Tea Party – diskutiert.

In Republicans for Revolution rezensiert Lilla einen Erklärungsversuch für die heute in den USA herrschenden konservativen Strömungen und ihrer Geschichte: The Reactionary Mind. Lilla ist wichtig dem Autor Corey Robin entgegenzuhalten, dass die immer stärker werdende libertäre Tea Party-Bewegung keine Konservativen sind, die das Erbe der guten alten Zeit bewahren wollen. Sie sind Reaktionäre, die verstanden haben, dass es kein zurück zu dieser guten alten Zeit gibt – aber die Verabscheuung der heutigen Gesellschaft und Politik und die Verehrung dieser guten alten Zeit bleibt. Die heutige Ordnung wird also bekämpft mit dem Wissen, dass etwas Gutes der alten Zeit bestehen bleiben wird. Sie sind revolutionär um das Alte zurückzubekommen. So schreibt er über das Wesen der Reaktion:
They believe that the only sane response to an apocalypse is to provoke another, in hopes of starting over. Ever since the French Revolution reactionaries have seen themselves working toward counterrevolutions that would destroy the present state of affairs and transport the nation, or the faith, or the entire human race to some new Golden Age that would redeem aspects of the past without returning there.
Der jetzige Politikbetrieb muss also zerstört werden, um in die gute alte Zeit zurückzukommen. Diese revolutionäre Sicht hängt mit der vorherrschenden Sichtweise der Tea Pary zusammen. Lässt man die jetzigen Zustände bestehen, kommt es zum Untergang:
The real news on the American right is the mainstreaming of political apocalypticism. This has been brewing among intellectuals since the Nineties, but in the past four years, thanks to the right-wing media establishment and economic collapse, it has reached a wider public and transformed the Republican Party. How that happened would be a long story to tell, and central to it would be the remarkable transmutation of neoconservatism from intellectual movement to rabble-rousing Republican court ideology.
Die republikanischen Intellektuellen haben diese Weltsicht schon länger gepflegt, nun ist sie auch im Mainstream angekommen. Die Revolution der liberalen, herrschende Klasse braucht ein Zugpferd im Amt des Präsidentschaftskandidaten. Egal wie unqualifiziert dieser ist:
Apocalypticism trickled down, not up, and is now what binds Republican Party elites to their hard-core base. They all agree that the country must be “taken back” from the usurpers by any means necessary, and are willing to support any candidate, no matter how unworldly or unqualified or fanatical, who shares their picture of the crisis of our time.
Was in der republikanischen Partei abläuft, ist kein Konservatismus, sondern eine Revolution, die nur weiss zu zerstören – aber nicht weiss, was man aufbauen will:
All this is new—and it has little to do with the principles of conservatism, or with the aristocratic prejudice that “some are fit, and thus ought, to rule others,” which Corey Robin sees at the root of everything on the right. No, there is something darker and dystopic at work here. People who know what kind of new world they want to create through revolution are trouble enough; those who only know what they want to destroy are a curse.

Einem der prominentesten Vertreter der Tea Party – Glenn Beck – widmet sich Lilla im Artikel "The Beck of Revelation". Beck ist Autor, TV- und Radio-Moderator und eine aggressive Gallionsfigur der libertär-religiösen Strömung. Seine polemische Rhetorik ist unnachgiebig und ohne Verständnis für den politischen Gegner. Doch Lilla sieht ihn eher als ein Sprachrohr, als den typischen Demagogen:
I’m coming to the conclusion that searching for the “real” Glenn Beck makes no sense. The truth is, demagogues don’t have cores. They are mediums, channeling currents of public passion and opinion that they anticipate, amplify, and guide, but do not create; the less resistance they offer, the more successful they are.
Er ist der Moses der Tea Party-Bewegung – "moved into the prophet business" –, für die er nun sein politisches Programm in öffentlichen Auftritten entradikalisiert. Er schimpft dann weniger auf den Regierungssozialismus, sondern mahnt die Amerikaner an, sich der Freiheit zuzuwenden. Dabei sollen sie Gott als Zentrum ihres Lebens akzeptieren. Lilla verweist hier auf eine Beobachtung von Alexis de Tocqueville: Totale Freiheit ist zu angsteinflössend – um sie auszuhalten, muss man sich einer höheren Macht zuwenden.

Die Tea Party-Bewegung sieht Lilla in "The Tea Party Jacobins" als eine im politischen Diskurs sich schon lange anbahnende Strömung, keine plötzliche Entwicklung. Zwar habe die Finanzkrise die Tea Party nun noch verstärkt und zu mehr Popularität verholfen, aber "the populist mood has been brewing for decades".


Er bezweifelt, dass die Gesellschaft antiliberaler wird, die aus den 60er Jahren stammenden Überzeugungen – Akzeptanz von Alleinerziehenden, weniger religiösen Einfluss auf die Gesellschaft und Schwulen- und Lesbenrechte – werden nicht über Bord geworfen Genauso sei der Glaube an die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Einzelnen weiter stark. 

Dass die Republikaner in Umfragen immer radikaler wirken sei nur auf eine Sache zurückzuführen: es gibt immer weniger davon. Die schrumpfenden Demokraten wurden parallel etwas linker, aber die wachsenden Unabhängigen in der Mitte hätten ihre Meinung kaum geändert.

Das Problem sei nicht der politische Einfluss der linken und rechten Radikalen. Sondern der Aufstieg der "nichtpolitischen Jakobiner". Ein grösser werdender Teil der Bevölkerung vertraut keiner Regierung und keinen Politikern. Wie in anderen entwickelten Demokratien wurde es einfach schwieriger für ein repräsentatives System, die eigenständiger werdenden Wähler zu vertreten.


Der eigentliche Auslöser der Tea Party war dann auch die Finanzkrise als Erinnerung daran, dass der Staat und die Politik – "collective response" – doch gebraucht werden. Doch der Eingriff des Staates brachte in der autonomisierten US-Gesellschaft einen eigenen Gegeneffekt zum Vorschein. Der rechte Rand sah den eigentlich gesellschaftlich akzeptierten politischen Eingriff als ein Zeichen der ausufernden Macht von Eliten, denen nun schon seit Jahrzehnten misstraut wird.


Die Republikaner wollten von dieser Bewegung profitieren. Die Präsidentschaftskandidaten nutzen die Tea Party-Anhänger für Ihre Zwecke: "Establishment Republicans will make fools of themselves trying to master a populist rhetoric they don’t know and don’t believe in". Doch dadurch gewinnen die Extremisten auch mehr Macht: "the colonized eventually colonize the colonizer". Milla sieht noch weniger Kompromissbereitschaft und Verständlichkeit auf der politischen Bühne kommen und US-Amerikaner werden weiter Respekt und Vertrauen in ihre Regierung verlieren.
They want to be people without rules—and, who knows, they may succeed. This is America, where wishes come true. And where no one remembers the adage “Beware what you wish for."

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