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Freitag, 6. Juni 2025

Augenzeuge der Kulturrevolution

Während man bei den diplomatischen Schreiben der US-Botschaften auf das illegale Durchstechen durch Wikileaks zurückgreifen muss, sind solche für die Schweiz – zumindest für historische Berichte – frei über das Internet verfügbar. Mein Interesse an den Berichten von Hans Keller, dem Botschafter der Eidgenossenschaft in Peking von 1963 bis 1966, wurde durch eine Ankündigung einer Ausstellung an der ETH Zürich geweckt. Tatsächlich finden sich seine Berichte online bei der Forschungsstelle Dodis.



1966 wurde Hans Keller nach der Rückkehr aus dem Urlaub mit den dramatischen Veränderungen in Peking durch die Kulturrevolution konfrontiert. Von einer «Brücke der Freundschaft» durch Diplomatie war wenig zu spüren.

Als er mit dem Zug aus der Sowjetunion ankam, erwarteten ihn schon am Bahnhof die Rotgardisten, Zehntausende von ihnen «beiderlei Geschlechtes belagerten Perrons, Treppen, Hallen und den grossen Bahnhofplatz, warfen feindliche oder bestenfalls missbilligende Blicke auf die Ankömmlinge mit ihren hier verpönten westlichen Kleidern, Koffern usw. und versperrten überall den Durchgang. Unser vollständiges Botschaftspersonal sowie das befreundete dänische Botschafterpaar waren zum Glück bis zu unserem Wagen vorgedrungen, um uns die ersten Schritte in einem Lande zu erleichtern, das ich kaum wieder erkannte.»

«Wir waren geradezu froh, als wir von Aufsehern für kurze Zeit in einen besonderen Raum für Ausländer gesperrt wurden, wo unsere Papiere einmal mehr kontrolliert werden mussten. Dann endlich durften wir in unseren Wagen langsam wegfahren.» Schnelleres Fahren wäre zu gefährlich gewesen, denn so hätte man «die vorwiegend ab dem Lande stammenden, keine Verkehrsregeln kennenden Gardisten, die wie Ungeziefer überall massenhaft herumlungerten» überfahren können – mit katastrophalen Konsequenzen.

Glücklicherweise sei das Botschaftspersonal deportiert oder umgebracht worden – «wie es anderswo verschiedentlich vorgekommen sein soll.» Tausende der Rotgardisten seien in einem Haus nahe der Botschaft und auf der Strasse mit «Essen, Schlafen, Lernen, Singen usw. beschäftigt.» Im Wagen und erst recht zu Fuss bereitetes oft Mühe, sich durch die Menschenmasse durchzukämpfen. «Alle Haus- und Strassenmauern sind über und über mit Zitaten Maos überklebt und alle Gardisten lesen immer wieder aus der roten Mao-Bibel, ohne die sie offenbar nichts mehr zu unternehmen wagen.» Zahlreiche Latrinen, die an der Strasse errichtet wurden, «verbreiten einen Gestank, der zeitweise fast unerträglich wird.»

Radio- und Fernsehapparate, europäisch aussehende Kleider und Schuhe, Uhren, Bücher, Photoartikel und andere Zeugen dekadenter westlicher Lebensweise «wurden das Opfer einer Säuberungskampagne, die mich an ähnliche Gewaltakte der Hitlerjugend unseligen Gedenkens erinnerte.» 

In Nebenstrassen, Hinterhöfen und anderswo würde sich Schlimmeres abspielen: «Verprügelung völlig wehrloser, namentlich älterer, schutzloser Männer und Frauen». Ihre Schuld hätte nur darin bestanden, ausländische Bücher, Apparate oder Kleider zu verwenden oder Kontakte mit Ausländern zu pflegen. «Einem für ausländische Patienten zugänglichen Arzt wurde das Ordinationszimmer samt der Fachausrüstung kurz und klein geschlagen und er selber von den Gardisten so schwer verletzt, dass an seinem Aufkommen gezweifelt wird.» Mit Bambusstöcken seien seine Beine gebrochen worden. Im grössten Spital hätten die Angriffe der Roten Garden und die Demütigungen der Ärzte für mehrere Selbstmode gesorgt. 

«Der Verkehr versinkt im Chaos.» Die Polizisten würden sich nicht trauen, die Gardisten wegzujagen, welche die Verkehrskreuzungen übernahmen. «Sobald eine Stockung entsteht, nehmen die Verkehrsgardisten Zuflucht zu ihrer Mao-Bibel, vermehren damit natürlich nur den allgemeinen Wirrwarr» – sie würden sich freuen, wenn sie die terrorisierten Fahrer in die Verzweiflung trieben.

Überall in der Stadt brüllten die Roten Garden Mao-Zitate. Alte Männer und Frauen würden als «entlarvte Kapitalisten» und «Reaktionäre» auf Brust oder Rücken Plakate tragen müssen, «in denen sie sich selbst reaktionärer und anderer regimefeindlicher Handlungen oder Gedanken bezichtigen.» Sie müssten erniedrigende Arbeit wie Strassenfegen oder die Abfuhr von Exkrement übernehmen, seien nur in Lumpen gekleidet und würden «von der jugendlichen Menge höhnisch verlacht, oft sogar gestossen und geschlagen».

«Ich musste mich wiederholt abwenden, um nicht vor Zorn mit dem nächstbesten Schlaginstrument auf das jugendliche Gesindel loszuhauen und die wehrlosen Opfer zu be-freien. Wie viele andere Ausländer konnte ich mehrere Nächte fast nicht mehr schlafen.»

Montag, 13. Februar 2012

Irrtümer und Fehler, schnell und langsam

Ein Irrtum ist nur ein Fehler, wenn man ihn nicht korrigiert. Wir irren uns ständig, wir begehen auch ständig Fehler. Doch Irrtümer kann man korrigieren. Man kann sie ausschalten. Bis man zu einer rationalen Lösung gekommen ist.

Das lässt mich auf das Konzept des "schnellen" und "langsamen" Denken" von Nobelpreisträger Daniel Kahnemann kommen. Wenn wir spontan, schnell auf etwas reagieren, mag das richtig sein. Aber erst durch unser sorgfältiges Denken kommen wir näher an eine rationale Lösung. Unser spontanes Denken mag uns motivieren und Ideen geben, aber erst durch die nachträgliche Überprüfung können wir sicher sein, das bestmögliche getan zu haben.

Als ich über dieses Bild aus dem griechischen Parlament gestolpert bin, dachte ich mir – wieso geben wir der lauten, polemischen Debatte soviel Gewicht. Wieso lassen wir die Lautesten oben stehen und die Leisen müssen folgen? Natürlich ist es unterhaltender, wenn wir aus der Emotion heraus eine Debatte erfahren. Wenn wir unsere Leidenschaft für etwas ausleben können. Ohne diese Leidenschaft bleiben alle Debatten leer. Trotzdem: Die Leidenschaft muss intellektuellen Massstäben genügen.

Unser Verstand muss der Massgeber für die Diskussion sein. Die Leidenschaft, die Emotion brauchen wir dennoch. Um die Realisierung eines Gedankens tiefer gehen zu lassen, als nur im oberflächlichen Verstehen stecken zu bleiben.

Erst wenn wir einen Gedanken so tief gespürt haben, dass uns das Verstehen mit aller Gewalt durchschüttelt hat, können wir ihn auch immer wieder abrufen und wissen um seine Bedeutung.

Doch zuerst müssen wir die richtigen Gedanken haben. Schaffen wir laute politische Diskussionen ab. Machen wir die politische Debatte zu einer schriftlichen. Oder doch nicht?

Thinking, Fast and Slow

Sonntag, 11. März 2007

Der König, der nie lächelt

Bhumipol, König von Thailand, ist der am längsten herrschende Monarch der Welt. Die Biographie "The King Never Smiles" erzählt die spannende Geschichte seines Lebens und die Auswirkungen auf das Schicksal seines Landes.

Aufgewachsen in Lausanne, Schweiz, kommt er erst mit 18 in Kontakt mit seinem Heimatland. Nach dem unerklärten Tod seine Bruders wird er überraschend König. Er lernt schnell sich in der Machtpolitik als - nach außen - repräsentativer Monarch durchzusetzen.

Im Gegensatz zum offiziellen Bild des Königs, ist er keineswegs der demokratiefördernde, moderne Monarch. Das zeigt das Buch sehr überzeugend. Er misstraut gewählten Politikern, eigentlich der Entscheidungsfähigkeit seines Volkes. Lieber vertraut er loyalen Militärs, die er immer wieder putschen lässt und denen er sich auch für die eigene Agenda bedient.

Sein Volk liebt ihn, doch diese Liebe wird durch eine grosse Propaganda-Maschine und autoritäre Ideologie ("Nation - Religion - König") am Leben gehalten.

The King Never Smiles: A Biography of Thailand's Bhumibol Adulyadej

Freitag, 8. Dezember 2006

Der schreckliche Vorsitzende

Wie war der 'grosse Vorsitzende' Mao Tse-Tung wirklich? Wie hat er gedacht? Was war sein Lebensweg? "Mao - The Unknown Story" ist ein unglaublich gefülltes Buch, in dem alle Mythen über Mao aufgedeckt werden. Mao wird als egoistischer, paranoider Massenmörder gezeichnet. Aber das Buch ist nicht anklagend, sondern nur beschreibend. Durch sein Detailreichtum ist die Biographie überzeugend und weckt das Interesse, mehr über die neuere Geschichte Chinas und des Kommunismus zu erfahren. Aus einem historischen Blickwinkel ist eines der interessantesten Tatsachen, das der Lange Marsch und auch die politische Karriere Maos ohne die extreme Unterstützung durch Stalin niemals so erfolgreich hätte sein können.

Mao: The Unknown Story

Sonntag, 27. August 2006

Wieso gibt es arme Länder?

Patrick J. O'Rourke versucht auf unterhaltsame Weise dem Wohlstand der Nationen nachzugehen. Nicht durch das Analysieren offizieller Statistiken, die in Ländern wie Tansania kaum aussagekräftig sind, sondern durch eine Weltreise. Er vergleicht aus eigener Anschauung wie sich die Wirtschaftsbedingungen unter anderem in Hong Kong, Vietnam und Schweden unterscheiden und wie dies den Wohlstand und die Freiheit der Menschen beeinflusst. Zwischen den ernsten Schlussfolgerungen sind die Texte unglaublich satirisch geschrieben.

Eat the Rich