Samstag, 16. August 2014

Die Dinge

Georges Perec, französischer Schriftsteller (1936-1982), experimentierte gerne mit der Sprache. Und herausgekommen sind nicht nur sprachlich interessante Resultate, sondern auch verschlingende Schwarze Löcher.

Eines dieser Löcher ist «Les Choses» (Die Dinge). Als «eine Geschichte aus den Sechziger Jahren» unterverkauft, ist es das feine Portrait einer Generation. Kurz: Ein junges Paar dürstet nach Geld. Es hasst aber die Idee einer Karriere. Die zwei leben so dem Materiellen verhaftet, so versessen auf Konsum und Luxus, dass es bald einen extremen Schritt geht: Das Paar wandert (fast) in die Wüste aus. Zumindest in ein Kaff (Sfax) in Tunesien.

Die Szenen, die Perec beschwört, sind atemberaubend, dank der detaillierten Beschreibung aller möglichen Gegenstände und auch Ideen. Die Geschichte lädt ein, darüber nachzudenken, was uns die Dinge bedeuten, die uns umgeben. Und wie (ob?) wir uns von ihnen emanzipieren können.

Sfax: Die tunesische Stadt sieht eigentlich nicht schlecht aus, bringt dem Pärchen aus Paris aber auch kein Glück. Lizenz: Creative Commons Attribution 2.0, Fotograf: upyernoz


Ein kurzer Ausschnitt, in dem Bild auf Bild heraufbeschworen wird, bis es dem Leser schwindlig wird – und das Paar noch Träume hat:
Sie sagten sich manchmal, dass ihr künftiges Leben den Charme, die Leichtigkeit, die Phantasie amerikanischer Komödien, von Filmszenen eines Saul Bass haben würde; und herrliche, leuchtende Bilder von makellosen, nur von Skispuren gestreiften Schneefeldern, von Meeresblau, von Sonne, von grünen Hügeln, von knisterndem Feuer in einem Backsteinkamin, von kühnen Straßen, von Pullmanwagen, von Hotelpalästen zogen wie Verheißungen an ihnen vorüber.
Die Dinge: Roman

Der Ego-Tunnel – über unser Bewusstsein

Es ist nicht nur lesenswert, was der Philosoph Thomas Metzinger über die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung in seinem Buch «Der Ego-Tunnel» beschreibt. Es ist aufwühlend für unser Selbstbild. Das Bewusstsein ist demnach ein Trick der Evolution, die Sinnes-Eindrücke und die Rechenergebnisse unseres Gehirns darzustellen. Das was wir «Ich» oder «Selbst» nennen ist demnach nur eine ausgeklügelte Benutzeroberfläche, um die kognitiven Funktionen zu steuern.

Da unser Körperbild auch nur eine Darstellung auf dieser Benutzeroberfläche ist, macht es eigentlich auch keinen grossen Unterschied ob wir in einem realen Körper oder etwa einen virtuellen steuern würden. So fühlen wir mit dem Avater in einem Computerspiel und professionelle Rennfahrer fühlen sich in einem Körper mit dem Wagen, den sie steuern.

Interessant war für mich der Brückenschlag zum Buddhismus und zur Meditation. Im Zen-Buddhismus soll die Meditation zu einer Auflösung des Egos führen – zur Einsicht, dass ein Selbst nicht existiert. Der Geist existiert, der Körper existiert. Aber das Gefühl für das Ich ist nur eine Illusion des Geistes. Die Hirnforschung gibt dieser Weisheitslehre recht.

Das Loslösen vom Selbst verspricht Glück und die Befreiung von Ängsten. "Stirb, während du lebst, und sei vollkommen tot. Dann tue, was immer du willst – alles ist gut."


Der Ego-Tunnel: Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik

Zwei Monde, viel Verwirrung

Als ich 1Q84 von Haruki Murakami vor mir hatte, dachte ich nur: Was für ein Schinken! In der deutschen Version muss man sich – die zwei Bücher zusammengenommen – durch über 1500 Seiten schlagen. Wer hat denn dafür Zeit?

Aber es war ganz und gar nicht anstrengend und so schnell habe ich so viele Seite wohl noch nie gelesen. Die Seiten fließen nur vor sich hin, nirgendwo stockt der Lesefluss, jedes Kapital endet mit einem Cliffhanger und man entwickelt echtes Interesse am Schicksal der zwei Hauptpersonen, Tengo und Aomame.

Doch wie bei jedem Buch von Murakami ist die Geschichte nur eine freie Leinwand, in der der Leser viel selbst projizieren kann. Die Handlung lässt sich eigentlich schnell zusammenfassen und die über 1500 Seiten werden eher mit der genauesten Beschreibung des Alltags gefüllt, anstatt mit einer komplizierten Geschichte.

Andere Romane von Haruki Murakami sind sogar noch minimalistischer und verzichten fast ganz auf einen großen Handlungsstrang. Diesmal ist es nicht ganz so esoterisch und 1Q84 bietet eine gute Mischung aus innerer Entwicklungsgeschichte, Anklänge an Fantasy und einer romantischen Erzählung.

Trotzdem habe ich mich gefragt, warum ich meine Zeit für dieses Buch geopfert habe. Wirklich bewegt oder gar aufgewühlt hat mich die Geschichte nämlich nicht. Die Liebe zwischen Tengo und Aomame ist zwar schön. Und die ständigen Anspielungen auf was noch kommen mag und das Rätselraten um die Paralleluniversen machen die Geschichte spannend zu lesen. Aber es bleibt zu wenig echte Erkenntnis und Anregung für so ein dickes Buch.

Es ist sehr gut gemachte Unterhaltung. Aber Murakami könnte mehr.

1Q84 (Buch 1, 2): Roman
1Q84 (Buch 3): Roman